“Rage is a good feeling”

Exhibition Essay, Nick Romeo Reimann and Olvia Axel Scheucher

Kunstverein Baden, 23.06.-02.07.2023


Die erste Einzelausstellung von Nick Romeo Reimann und Olivia Axel Scheucher im Kunstverein Baden eröffnet eine installative Auseinandersetzung, um Verkörperungsprozessen als kulturgeschichtlichem Phänomen nachzuspüren. In einer skulpturalen Installation, einer Soundarbeit, einer Performance sowie einer fotografischen Serie thematisieren sie spezifische Formen von männlicher Sozialisierung und wie kulturellen Rahmungen von Männlichkeit, von einem immanenten Gewaltpotential bestimmt sind.

Nick Romeo Reimann ist vorwiegend als Schauspieler und Performer tätig, er ist Ensemblemitglied des Wiener Volkstheaters. Die Praxis des Verkörperns sozial geprägter Rollenvorstellungen, für Reimanns Arbeit konstitutiv, ist für inhaltliche Überlegungen dieser Ausstellung ebenfalls zentral. Reimann beschäftigte sich dafür vor allem mit jenem Kinofilm, der ihn 2003 zu einem bekannten Kinderstar machte: Die Wilden Kerle. Die Kinderfilmreihe, in der Fußballteams wie Gangs gegeneinander antreten und sich Schlachten und Revierkämpfe liefern, war für eine ganze Kindergeneration prägend. Der vierte Teil gehörte im Jahr 2007 mit 2,5 Millionen Zuschauer:innen zu den zehn erfolgreichsten Filmen an den deutschen Kinokassen, standen jedoch wegen sexistischer und gewaltverherrlichender Darstellungen häufiger in der Kritik.

Angeregt von Klaus Theweleits epochalen “Männerphantasien”, einer Untersuchung der sexuellen, psychologischen und soziopolitischen Vorgeschichte des Nationalsozialismus, setzt Nick Romeo Reimann sich nun kritisch mit jenen Bildern und Geschichten auseinander, die er als Kind durch seine Rolle mitgeprägt hat. Die ausgestellten Arbeiten verweisen pointiert auf die Fragen der politischen Aktualität von „politischer Männlichkeit“, Stigmatisierung und Ausgrenzung.

Theweleits zweibändiges Werk war 1977 der Versuch, einer neuartigen Faschismus-Deutung, in der Geschlechter-Psychologie, Patriarchats-Kritik und Gewalt-Diskurs zusammengedacht wurden. “Männerphantasien” lieferte eine große ideologiekritische Untersuchung über männliche Selbstbilder und ihre Frauenbilder der 1920er Jahre, wie sich diese aus der zeitgenössischen Freikorps-Literatur und aus Selbstzeugnissen von Angehörigen paramilitärischer Kampfbünde in der Weimarer Zeit herausfiltern ließen.

Basierend auf Theweleits Analyse der Modellierung männlicher Emotionalität im Patriarchat deutet er Faschismus als Grenz- und Extremfall männlicher Herrschaft. Als eine Art Mangelerkrankung der männlichen Psyche, die mit Aggressivität auf die Furcht vor dem „Weiblichen“ und damit die Angst vor der Ich-Auflösung reagiert – mit Gefühlspanzerung und Gewalt gegen sich selbst und andere (nicht zuletzt gegen Frauen). Die Unfähigkeit, ein positives Erleben der Begegnung an den eigenen Körpergrenzen zu entwickeln, führt zum Wunsch, eine äußere Ordnung die sich gegen alles “Sumpfige”, in dem man zu versinken droht mit Mitteln der Gewalt und Unterdrückung herzustellen.

Im Hauptraum der Ausstellung ruft die Installation Ive worked so hard and got so far, but in the end it doesn’t even matter unmittelbare Eindrücke des Untergehens und Versinkens “starker Männer” auf. Mitten im Raum driftet ein gutes dutzend Körper. Sie sind im Schweben, im Fließen installiert, dem Boden nahe - und doch berühren sie ihn nicht. Es handelt sich um ausgestopfte Originalkostüme, jene, die Nick Romeo Reimann in den Wilden Kerlen getragen hat. Das Erscheinungsbild der Filme trug erheblich zu ihrem Image und ihrem kommerziellen Erfolg bei. Sie galten als „cool“ und „erwachsen“. Ihre martialischen, düster und industriell anmutende Bildwelten wurden durch dieses Kostümbild ergänzt. Die Kleider der Wilden Kerle enthielten dafür oft Schutzelemente (Kampfsportprotektoren, Westernähnliche Holster, Tarnfarben), waren vor allem aber von militärischer Kleidung inspiriert. Mit den Panzerungen und ihren Gesichter-verdeckenden Schutzhelmen, erinnert der Auftritt der Jungen an den eines Sondereinsatzkommandos. An anderer Stelle hüllten sich die „echten Kerle“, wie sie in Marketingslogans häufig genannt wurden, in Generalsmäntel.

In der Installation werden beim genauerem Hinsehen Perforationen in den Kleidungsstücken sichtbar. Kleine Löcher geben Hinweis darauf, dass die Kostüme nicht länger einer großen Fantasie zugehörig sind: Im Durchbrechen des Gewebes mit echten 9mm Projektilen störte Reimann deren archivierende Funktion. Die konservierte Erinnerung, die der Kleidung durch die Dreharbeiten unmittelbar eingeschrieben wurde, ist von einem gegenwärtigen Zu- und Eingriff durchdrungen, der die in den Filmen angelegte kriegerische Metaphorik durch eine künstlerische Intervention aktiviert.

In Bodennähe platziert wirken die Kostüme gegenteilig zum Image der Bande. Ihre Materialität erscheint nicht länger als Träger von Coolness um potentielle Gegner abzuschrecken. Im Gegenteil, ihr Schweben ist zutiefst unheimlich. Wie ein Fluss haben sich diese Körper ausgebreitet, als ob sie gar nicht angekommen, noch auf der Reise wären, sie wirken konturlos. Vertikalität, das männliche Prinzip schlechthin, ist außer Kraft gesetzt. Die Transposition der Archivobjekte in den Ausstellungskontext reaktiviert damit die Sedimente einer Erfahrung, die um die von Theweleit beschriebene Angst vor Körperauflösung kreist. Es ist ein Kennzeichen des Faschistischen, dass die Umgebung für den eigenen, unfertigen Körper, als bedrohlich erscheinen muss. Die Unheimlichkeit einer spezifischen Form männlicher „Stärke“, die sich nur durch Gewaltausübung als Identität begreifen kann, übersetzt sich in Reimanns geisterhaften Figuren, denen konsequenterweise auch die Köpfe fehlen. Ihre Präsenz entgegnet all jenen, die behaupten, die „natürliche Ordnung“ sei gestört, wenn „die Unteren“ Gleichheit verlangen.

Die Klänge von Only the dead arent afraid, einer 6 Kanal Soundarbeit, die in Zusammenarbeit mit dem Komponisten Peer Baierlein eigens für diese Ausstellung entstanden ist, breiten sich dazu, in ebenso fließenden Bahnen, im Raum aus. Wir folgen der Dramaturgie eines Spaziergangs durch die Natur, der sich an einem Kipppunkt in eine Panikattacke verwandelt. Durch die organischen Geräusche, Atmung und Herzschläge, könnte der Eindruck entstehen, dass wir uns im Kopf der:s Gehenden befinden. In der Installation kommen dafür verschiedene Formen der Klangsynthese zum Einsatz: In tiefsten Frequenzen lässt ein Subwoofer den durchgehenden, kaum wahrnehmbaren Herzschlag durch den Raum pulsieren. Ein bewegliches Speaker-Objekt (zur Verfügung gestellt von Michael Akstaller) konstruiert durch Wellenfeldsynthese punktgenaue Klänge mit stark gerichtetem Schall. Die Wiedergabegeräte werden zu Aktivierungsmaschinen, die ihre Umgebung in Schwingung versetzen und strukturieren, und je nachdem wo man sich befindet, werden andere Elemente der Fläche wahrnehmbar. Die Bewegung der Geräusche fordert die Besucher:innen dazu auf, die Sinne offen zu halten, sich selbst im Raum zu bewegen und gleichzeitig der Klangbewegung zu folgen.

Die Dramaturgie der Soundfläche wird zweimal durch Chöre unterbrochen, die Peer Baierlein komponiert hat. Auch diese Kompositionen werden in eine psychoakustische Erfahrungsdimension überführt, denn anders als bei herkömmlich abgemischter Musik wird hier keine “Idealposition” des Zuhörens angeboten. Jede Stimme wird einzeln, von je einem Lautsprecher wiedergegeben. Jede:r Zuhörerer:in wird somit selbst zur Schnittstelle, an der sich die Klänge in einem verräumlichten kompositorischen Eindruck manifestieren.

Daheim und Sahakral, so die Titel der Stücke, sind inspiriert von Harmonien des Kärntner Viergesangs, sakralen Chorälen und Marschgesängen. Die Anlehnung an diese Formen kollektiven Gesangs ist bewusst gewählt: im Modus kollektiver Emotionalität mit dem Gestus eines brauchtümlichen „Wir-Gefühls“ entwickeln sie eine gemeinschafts- und identitätsstiftende Kraft. Sie spielen mit der Tatsache, dass etwaige Inhalte der Texte dabei schnell zu, einer stark affektiven Dimension untergeordneten „blinden Passagieren“ werden. So auch bei Only the dead aren’t afraid. Mal subtil, mal offenkundig martialisch geben diese, bei genauerem Hinhören, Einblick in Gedankenwelten und Körper jener, die Nähe, Freiheit und Leben vermeintlich nur im Kampf, nur in der Beseitigung anderer Körper finden können.

Eine fotografische Reihe von Olivia Axel Scheucher zeigt u.a. Performance-Dokumente von Fugue Four : Response, einer gemeinsamen Arbeit mit Nick Romeo Reimann, die 2022 am Volkstheater zu sehen war, und im Sommer 2023 im Rahmen des Festivals Impulstanz gezeigt wird. Auch diese Bildstrecke setzt den Körper ins Zentrum konfliktuöser Inszenierungsstrategien. Hier erscheint das Mediale als exponierende Geste, um eine grundlegende Verletzlichkeit der Physis zu Tage zu bringen. Das Erforschen der sexuellen Konditionierung jenseits von perfekten, wie militärisch in Form gedrillten und jederzeit abrufbaren Körperbildern, beschließt den Ausstellungsparcours in einer poetischen Öffnung. Entgegen harter Ausgrenzungstaktiken bilden sie relationale Einschlüsse einer körperlich sich erfahrbar machenden Gemeinschaft.

Der Ausstellungstitel Rage is a good feeling zitiert einen Ratschlag, den Reimann als Kind einst von der Regie bekam. Nämlich, dass Wut ein guter Motor sei, um sich seiner Rolle als Teil der Jungenbande nähern zu können. In unserem Gespräch schlägt er vor, dass es sich mit Bell Hooks gut über die transformative Kraft der Liebe in patriachalen Gesellschaften spekulieren lässt. In Lieben lernen – Alles über Verbundenheit beschreibt Hooks jene verfehlte Erkenntnis, die sich auch in der Setzung der Wilde Kerle Filme beispielhaft spiegelte: “Kriegsspiele und andere gewalttätige Spiele lehren Jungen, dass ihre Rolle darin besteht, wenn nötig zu töten. Die meisten Jungen verinnerlichen, dass sie, um wirklich männlich zu sein, in der Lage sein müssen, Leben zu nehmen, statt es zu geben und zu umsorgen.” Hooks setzt dieser Einsicht ein Plädoyer für die Liebe entgegen, die sie in einer Kombination aus Fürsorge, Verbundenheit, Erkenntnis, Verantwortungsgefühl, Respekt und Vertrauen erkennt. Ihre mutige Meinung soll diesen Text beschließen: “Männer, die lieben, sind noch nicht so zahlreich wie Männer, die sich nach Liebe sehnen. Doch diese Sehnsucht bietet Möglichkeiten.”