‘Nightmarket Theatre’ : Taiwans Kulturdiplomatie
Aufgrund von Taiwans politisch prekärem Status, spielen Kunst und Kultur eine hervorgehobene Rolle für seine diplomatischen Beziehungen. Dieser Artikel stellt die Bedeutung der darstellenden Künsten als Mittel und Methode zur kulturellen Diplomatie vor. Das ‘Nightmarket Theatre’ ist eine Zusammenarbeit der taiwanesischen Gruppe Prototype Paradise und des britischen Künstlers Joshua Sofaer, eine Arbeit, deren kollaborative Dynamik m. E. gut jenes (prae/post Covid19) Klima der Kunst- und Kulturlandschaft wiedergibt, wie ich es selbst in Taiwan erleben konnte. Die Gruppe Prototype Paradise macht – ein wenig liegt das Konzept schon im Namen verankert – Theater an ungewöhnlichen Orten. Gemeinsam mit Soafer, der 2014 von der National Cultural and Arts Foundation zu diesem Projekt nach Taiwan eingeladen wurde, bespielte Prototype Paradise eine Bude auf einem traditionellen taiwanesischen Nachtmarkt. Diese wegweisende Arbeit ist (auch) als Beitrag zur Vertiefung von Taiwans interkultureller Kommunikation zu verstehen und schlägt eine Brücke von der taiwanesischen Kultur zu den Kulturen der Länder Südostasiens, und schließlich nach Europa.
Die Peking Oper im Westen – früher Austausch oder doch bloße Repräsentation?
Beginnen wir mit einer kurzen historischen Rückblende: Als der berühmte Peking-Oper Darsteller Mei Lanfang in den 1930er Jahren eine Tour durch die USA machte, war das Zur-Schau-stellen der chinesischen Kultur durch Aufführungen ein voller Erfolg. Wiewohl es eine Zeit politischer Schwäche in seinem Heimatland war, sollte die internationale Reputation Chinas durch seine Opern-Show an Bedeutung und Achtung gewinnen. Als die KMT sich dann, in den 1950er Jahren nach Taiwan zurückzog, blieb das Format der Peking-Oper zunächst weiter jenes, durch das sich die Partei international als Beschützer der traditionellen chinesischen Kultur darstellte. Die Bestrebungen der Nationalisten auf Taiwan standen in Konkurrenz zu Festlandchina, wo Mei Lanfang ebendann als erster Präsident der neu gegründeten China National Peking Opera Company fungierte.
Die Entwicklung einer (chinesisch-) taiwanesischen Identität
Mit dem Aufstieg der Kommunisten in China und der Flucht der KMT, sowie vieler Intellektueller und Künstler nach Taiwan, bestand das Anliegen taiwanesischer Außenpolitik zunächst ganz darin, Taiwan als ‘authentisch chinesisch’ zu behaupten. Man begegnete der diplomatischen Isolation mit dem Versuch, die qualitativen Charakteristika der alten chinesischen Kultur als ‚authentisch Eigene‘ auszustellen. Beginnend in den 1970er Jahren hat sich seither, in Bezug auf das Selbstbewusstsein einer solchen ‘taiwanesischen Identität’, viel verändert: Es lässt sich die Entstehung einer ‘Taiwanese Awareness’ (Wei, Chun-Ying: 2017, 88) konstatieren, die Künstlerinnen und Künstler zur Thematisierung identitätspolitischer Fragen anregte. Als frühe Beispiele für künstlerisches Schaffen, die nachhaltig die kulturelle Identität Taiwans prägen, sind hier neben dem Cloud Gate Ensemble auch das 1985 von Henry Mazer gegründete Taipei Philharmonic Orchester oder das Legend Lin Tanztheater zu nennen.
Taiwans kulturpolitische Ausrichtung seit den 1990er Jahren
In politischer Hinsicht kann Taiwan als Staat betrachtet werden, der jedoch nicht zugleich auch eine Nation ist. Für Taiwan, dessen politischer Status wiederkehrend zur Diskussion steht, ist eine Positionierung der Künste im Sinne der Anerkennung einer nationalen Konstitution daher von nachvollziehbarer Relevanz. Seit den 1990er Jahren ist die taiwanesische Regierung bemüht, die Eigenständigkeit und das Image der taiwanesischen Kultur durch ein gezieltes kulturpolitisches Engagement zu stärken. Zusätzlich zur Funktion der Künste in einem klassisch diplomatischen Sinne, deren Aufgabe vornehmlich darin bestand, KünstlerInnen aus Taiwan zu repräsentativen Zwecken auf Tournee ins Ausland zu entsenden, erfolgte zunächst die Einrichtung einer Regierungsbehörde für kulturelle Angelegenheiten (des Council for Cultural Affairs, CCA), im Jahr 1981 ging daraus dann das Kulturministerium (Ministry of Culture, MOC) hervor. Dadurch wurden die offizielle Gewährung von Förderungen, die Unterstützung von Residence- und Austauschprojekten, sowie die aktive Förderung von Kunst und Kultur als Teil des Place-Branding Taiwans Schritt für Schritt ermöglicht. In geographischer Hinsicht verstärkte Taiwan seine kulturellen Beziehungen zunächst mit Ländern Nordamerikas, Europas, und innerhalb Asiens mit Japan und Südkorea. Im Zuge der Emerald Initiative 2013 und Southbound Policy 2016 gelangte schließlich Südostasien in den Fokus wirtschaftlicher und kultureller Zusammenarbeit. Das wegweisende künstlerische Beispiel des ‚Nightmarket Theatre’ veranschaulicht diese Wendung der kulturpolitischen Ausrichtung Taiwans. Diese zielt weniger auf eine Entstehung repräsentativer Werke ab, sondern schafft zunächst eine Basis der Kommunikation, wodurch sie eine Vertiefung transkultureller Arbeits- und Schaffensprozesse ermöglicht.
Zeitgenössische Theaterarbeit im Kontext transkultureller Kommunikation: das Nightmarket Theatre
An einer Bude dampft es und duftet nach Sesampaste, nebenan riecht es nach heißem Öl und mariniertem ‚Stinky-Tofu‘. Menschen in bunten T-Shirts schieben sich durch die Gänge, lachen und plaudern bis spät in die Nacht. An kleinen Plastiktischen wird Bier aus winzigen Gläsern getrunken, der Obststand leuchtet exotisch: die traditionellen Nachtmärkte in Taiwan sind ein großes Fest für die Sinne. Hier, an einem solchen Markt, lassen Prototype Paradise und Sofaer ihr ‚Nightmarket Theatre‘ stattfinden.
Das ‚Nightmarket Theatre‘ stellt, im Kontext des oben Gesagten, insofern ein interessantes Beispiel dar, als das Projekt eine Örtlichkeit erforscht, wie sie in sämtlichen südostasiatischen Ländern aufzufinden ist. Es wird ein neuer Blick auf die im Alltag geteilte Praxis des Nachtmarkt-Bummels geworfen: Als Westeuropäer bringt Soafer, in der taiwanesischen Stadt Hualien, einen verfremdenden Blick auf diese vor Ort als gewöhnlich und beliebt empfundene Freizeitbeschäftigung ein. Auf einem für Einheimische wie Touristen gleichwohl beliebten Markt lässt er eine Intervention stattfinden, indem Theater-Performerinnen als Standinhaberinnen fungieren. Sie haben ein Wahlmenü zur Bestellung ausgehangen: Man kann zwischen einem philosophischen oder spielerischen Angebot, einer Erzählung oder einem Song und ähnlichem wählen. Die Performerinnen nehmen die Bestellungen des Publikums entgegen und verteilen Wartenummern an ihre ‚Kundinnen’. Dann rufen sie Einzelne der Zusehenden nacheinander mit den Wartenummern auf. Ist die Einzelne dann an der Reihe, präsentieren die Künstler für sie eine Performance unterschiedlicher Dauer. Dabei wird sie Teil des Geschehens und kann individuell auf das Dargebotene reagieren, bzw. dieses beeinflussen. Diese Kollaboration von Soafer und Prototype Paradise mit dem jeweiligen Publikum im Jahr 2014 ist damit eines der ersten partizipatorischen Performance-Formate, die in Taiwan durchgeführt wurden.
Theater als interkulturelles Projekt: Das Netzwerk ist der beste Zeitgenosse
Der Zusammenarbeit mit Prototype Paradise geht ein erster Aufenthalt Soafers auf Taiwan vor. Soafer, der bei dieser Reise, auf Einladung, einen Workshop gab, baute sich im Rahmen dieser Möglichkeit das Netzwerk für die folgende Arbeit am soziologischen Phänomen Nachtmarkt auf. Individuell motiviertes Networking, getrieben womöglich von nichts Verfänglicherem als einer vagen Neugierde für die fremde Kultur, kann als paradigmatisch für die Motorik der zeitgenössisch beschriebenen Formen transnationaler Kollaboration gelten. Es lässt sich am Beispiel von ‘Night Market Theatre’ konstatieren, dass diese Theaterarbeit inhaltlich (wenn auch nicht explizit) aus jenen Faktoren besteht, die sie strategisch konstituieren: Das Zusammenwirken von Netzwerken, Beziehungen, Verbindungen und dem vergnüglichen Zeitvertreib des Reisens wird in den einzelnen Sequenzen der Performance aufgegriffen. Neben einer Betonung der interasiatischen Verbindungen Taiwans, dessen Zugehörigkeit zum südostasiatischen Raum über den Topos des Nachtmarkts verdeutlicht wird, wirken die Dynamiken von Mobilität und Interkulturalität hier deutlich mit mit dem Ziel, die eigene nationale Position durch und in der Zusammenarbeit zu stärken. Derart positioniert Taiwan seine kulturdiplomatisch erreichbaren Ziele – überaus zeitgemäß – in der ‚Weltordnung der Kulturnetzwerke’.
Quellen
Castells, Manuel: The power of identity. Oxford, UK: Blackwell Publishers Ltd. 2010.
Wei, Chun-Ying: Taiwan’s Cultural Diplomacy and Cultural Policy: A Case Study Focusing on Performing Arts (1990-2014). Diss., Goldsmiths, University of London 2017.
Yoyo Kung, in: Webinar 5. Cross-cultural Translation and Collaboration in the Performing Arts. 19.08.2020, https://www.youtube.com/watch?v=JY7RMbN6ZGQ&t=2364s. Zugriff: 10.09.2020.